
Weniger für mehr
Jährlich begeben sich gläubige Männer weltweit auf einen geistlichen Parcours der Initiative „EXODUS 90“. Jeden Tag nehmen sich die Teilnehmer zwanzig bis sechzig Minuten Zeit für eine „heilige Stunde“ mit stillem Gebet. Intensiv betrieben wird die Askese. Kalte oder lauwarme Duschen, Verzicht auf Alkohol, Süßigkeiten oder Zwischenmahlzeiten stehen genauso auf dem Programm wie der Verzicht auf Fernsehen oder Sportübertragungen. An den Computer setzen sich die Teilnehmer nur, um zu arbeiten und unerlässlichen Verpflichtungen nachzukommen. Auch das Handy soll nur für dringend notwendige Gespräche benutzt werden.
Ein entscheidender Faktor ist die Gruppe. EXODUS 90 ist nichts für Einzelkämpfer. Fünf bis sieben Männer schließen sich zusammen und treffen sich regelmäßig zu Gebet und Austausch. Die Maxime ist einfach: Frei werden von allem, was den Einzelnen daran hindert, Gott und den Nächsten mehr zu lieben. Dafür gilt es, schlechten Gewohnheiten und Abhängigkeiten den Kampf anzusagen. Nach Erkenntnissen der modernen Verhaltensforschung braucht das Gewohnheitstier Mensch neunzig Tage, um sich umzustellen und eingeschliffene Verhaltensmuster zu überwinden.
Alexander Darbinjan hörte letztes Jahr beim Männerseminar im Haus der Stille in Greifswald das erste Mal vom EXODUS-Programm und antwortet auf die Fragen von Rudolf M. J. Böhm.
RB: 90 Tage Gebet, Askese und Brüderlichkeit – das scheint ein extremes Programm zu sein in einer Zeit, die nach dem Motto lebt: „Leben ist Spaß und soll Spaß machen!“. Askese scheint im Gegensatz zu allem, was Spaß macht, zu stehen. Ist das nicht eine ziemliche Zumutung?
AD: Ich habe in meinem Leben einen Punkt erreicht, wo ich gemerkt habe, dass Spaßhaben allein nicht glücklich macht. Ich habe gesehen, dass es eine Sehnsucht in mir gibt, die bei allem Überfluss ungestillt bleibt. Das EXODUS-Programm hat mir eine Antwort auf dieses Verlangen gegeben, wie ich sie zuvor noch nirgendwo gefunden habe. Oft wird man gefragt: „Hat dir dies oder jenes Spaß gemacht?“ Selten hört man die Frage: „War das Erlebte hilfreich? Hat es dir gut getan?“ So reduzieren wir die Fülle des Lebens auf den Faktor des Spaßhabens. Das EXODUS-Programm motiviert Männer, ihr Leben neu auf Jesus Christus auszurichten und Ihn als Quelle für ein erfülltes Leben in Freiheit zu erfahren. Ein relativ kurzer Blick in die Bibel reicht und es wird klar: wenn etwas Christen kennzeichnet, dann ist es, dass sie Menschen der Freude sind. Gott will ja, dass wir glücklich werden.
RB: Und wo ist der Unterschied zwischen Fun und Freude?
AD: Wenn Gott nicht im Spiel ist, kann auch keine echte und nachhaltige Freude entstehen, sondern sie bleibt reduziert auf flüchtige Befriedigungen.
RB: Wie hat EXODUS deine Blickrichtung verändert?
AD: Seitdem ich auf dem EXODUS-Weg gehe, ist mein Vertrauen zu Gott gewachsen. Auch in der Zeit davor hätte ich mich schon als „guten Christen“ bezeichnet, aber mir war die Bedeutung des Christseins, was da alles drinsteckt und was es von mir verlangt, wenig bewusst. Häufig war ich von einem schlechten Gewissen geplagt. Ich bin zwar ab und zu zum Gottesdienst gegangen, hab hin und wieder einen Abschnitt in der Bibel gelesen oder hatte auch mal intensivere Glaubenserlebnisse, aber in all dem lag nichts Beständiges. Es reicht nicht, sich nur mal hier, mal dort dem Glauben zuzuwenden. Gott will immer und in allem mit uns zu tun haben. Ich bin auf dem EXODUS-Weg mit Gott wieder ganz persönlich in Berührung gekommen. Meine Erfahrung ist: Egal, was in meinem Leben gerade passiert, ich kann mich hundertprozentig auf Ihn verlassen. Er lässt mich niemals im Stich!
RB: In der Bergpredigt sagt Jesus sinngemäß: Glücklich sind, die erkennen, wie arm sie vor Gott sind…; glücklich sind, die verfolgt werden… Das widerspricht unseren Vorstellungen von Glück und ist bestimmt nicht das, was wir uns selbst aussuchen würden, oder?
AD: Das stimmt. Wenn ich Menschen auf der Straße ansprechen und sie fragen würde, was sie sich für ihr Leben wünschen, dann käme als Antwort sicher: Ein Haus mit Garten, eine gute berufliche Stellung, genügend Geld, gesunde Kinder, ein schöner Urlaub, usw. Das sind alles Wünsche, die die meisten von uns haben. Die Lebensart, die uns Jesus in Seiner Bergpredigt nahelegt, eröffnet uns eine neue Dimension – weg von Ehre, Macht, Lust und Geld. Die Güter dieser Welt können unser hungriges Herz nicht stillen. Sich davon zu lösen und an Jesus zu hängen führt in eine Freiheit, die natürlich nicht schon in 90 Tagen zu gewinnen ist.
RB: Josef Ratzinger hat einmal gesagt: „Wir sind nicht für ein bequemes Leben erschaffen worden, sondern für das Große.“ Stimmt das mit deinen Erfahrungen auf dem EXODUS-Weg überein?
AD: Ja, definitiv. Das Gute am EXODUS-Programm ist, dass man diesen herausfordernden Weg nicht alleine geht. Man ist in mehrfacher Hinsicht in Begleitung: im Gebet vor Gott, durch die täglichen Impulse und durch Gleichgesinnte, die den Weg mitgehen. All das hilft, das Leben neu zu betrachten und für die ganz alltäglichen Dinge ein gesünderes Maß zu finden. Ich hatte mich zuvor im Internet und sozialen Medien oft ganz verloren, habe maßlos Süßigkeiten konsumiert und mir zwischendurch immer wieder was reingeschoben. Natürlich hat mich die Umstellung sehr herausgefordert, doch für das, was dabei herauskam, hat es sich gelohnt.
RB: Du sprichst von einem „gesunden Maß“. Wir merken zwar im täglichen Leben, dass das Übermaß uns nicht guttut, aber mit dem Maßhalten können wir uns trotzdem nicht anfreunden. Was für einen Sinn hat es, sich Beschränkungen zuzumuten?
AD: Ich glaube, das ist eine entscheidende Frage. Hier muss man den größeren Zusammenhang verstehen: Verzicht ist kein Selbstzweck; ich muss mir nichts beweisen und mich nachher vor den anderen damit großtun. Es geht wesentlich darum, durch Verzicht Raum für Gott zu schaffen. Da, wo ich zwischendurch Heißhunger auf ein Stück Kuchen bekommen habe oder morgens bei der kalten Dusche gerne den Wärmeregler verstellt hätte; oder wenn ich abends lieber die Beine hochgelegt hätte als noch eine Runde joggen zu gehen… – in all diesen Momenten habe ich mir selbst abgesagt und zu Gott Ja gesagt.
RB: Bist du nicht auch mal an den Punkt gekommen, wo du am liebsten zu deinen alten Gewohnheiten zurückgekehrt wärst?
AD: Als ich von diesem Programm erfahren habe, war ich schnell davon überzeugt und habe vertraut, dass es in der jetzigen Phase meines Lebens für mich dran war. Ich war fest entschlossen und mein Vertrauen ist nicht enttäuscht worden. Ich bin auch über die 90 Tage hinaus dabeigeblieben. Für mich war klar: ich wollte – in der Sprache von EXODUS ausgedrückt – auf keinen Fall mehr zurück in die alte „Sklaverei Ägyptens“. Für mich gibt es kein Zurück, sondern nur ein Weitergehen.
RB: Was hat sich verändert? Frech gefragt: Bist du ein besserer Mensch geworden?
AD: Wenn ich jetzt nach bereits 2x90 Tagen Bilanz ziehe, möchte ich sagen, dass sich vor allem die Qualität meiner Beziehungen geändert hat: die Beziehung zu Gott, zu meinen Mitmenschen und zu mir selbst. Neue Wege haben sich für mich aufgetan, mit denen ich gar nicht gerechnet hatte. Es ist nicht meine Sache, darüber zu urteilen, ob ich ein besserer Mensch geworden bin. Was ich mir allerdings erhoffe, ist, dass ich das Licht Gottes durch mein Wesen und mein Sein in diese Welt hineintragen kann. Ich möchte weiterhin offenbleiben, mir Gottes Liebe schenken zu lassen und weiterzugeben.
RB: Wie sieht das konkret aus?
AD: Da fällt mir als Erstes die Beziehung zu meiner Frau ein. Als ich letztes Jahr im November von diesem EXODUS-Parcours gehört habe, da ging es unserer Beziehung echt nicht gut. Ich möchte behaupten, dass inzwischen wieder ein Segen auf unsere Beziehung gefallen ist.
RB: Hat deine Frau das ebenso wahrgenommen?
AD: Das will ich hoffen; zumindest, dass sie wahrnimmt, dass ich aus meiner früheren Gleichgültigkeit ausgebrochen bin. Wir haben bisher wenig darüber gesprochen, aber ich wünsche mir, dass sich meine Veränderung spürbar auf sie auswirkt.
RB: Wie findet es deine Frau, dass du diesen Weg weitergehst?
AD: Ich glaube, sie ist verwundert, dass ich diesen Weg so beharrlich weitergehe. Ich möchte nicht nachlassen, denn wenn ich mir vormachen würde, dass ich bestimmte Grenzen oder Schwächen überwunden hätte, kämen alte Probleme schnell zurück. Es ist unrealistisch zu glauben, dass man irgendwann mit einer Sache ein für alle Mal fertig ist. Auch auf dem neuen Weg bleibt man ganz auf Gott angewiesen.
RB: Ist das nicht demütigend, in allem von Gott abhängig zu sein?
AD: Viele denken, dass man alles aus eigener Kraft schaffen muss und verlassen sich auf die eigene Stärke. Demütig zu leben heißt zustimmen, dass wir in allem Gottes Hilfe benötigen. Wer das einmal verstanden hat, wird in eine Freiheit geführt, die ihn dankbar sehen lässt, dass Gott unaufhörlich schenken will und jeden Schritt mitgeht.
RB: Liegt die eigentliche Veränderung also darin, jede Art von Selbstherrlichkeit zurückzulassen und zu lernen, sich von Gott beschenken zu lassen?
AD: So könnte man es sagen. Es ist ein Geheimnis und Geschenk des Glaubens, sich von Gott immer mehr lieben zu lassen und diese Liebe zu erwidern, sie weiterzugeben. Allein die Liebe verändert uns. In diese Liebe können wir alle unsere Erfahrungen einordnen, unsere Erfolge und Misserfolge ebenso wie Unglück und Leiden.
RB: Würdest du das Programm weiterempfehlen?
AD: Grundsätzlich wünsche ich es jedem. Aber die Zeit dafür muss reif sein. Ich kann zwar von meinen Erfahrungen erzählen, aber am Ende muss sich jeder selbst auf den Weg machen. Eine entscheidende Voraussetzung ist eine gewisse Unzufriedenheit oder das Gefühl, dass einem etwas Wesentliches fehlt. Vielleicht muss auch erst die Not oder Verzweiflung groß genug sein, damit man sich etwas Neuem öffnet.
RB: Was möchtest du von dem Gelernten beibehalten?
AD: Auf die Stunde Gebet am Morgen möchte ich auf keinen Fall mehr verzichten. Es bleibt eine Herausforderung, aber ich habe erlebt, dass diese „Heilige Stunde“ mir hilft, gut durch den Tag zu kommen. Auch die anderen EXODUS-Disziplinen habe ich größtenteils beibehalten. Frühere Konsumwünsche sind dadurch wesentlich zurückgegangen. Unverzichtbar geworden ist mir auch der regelmäßige Austausch mit gleichgesinnten Männern und das gemeinsame Gebet.
RB: Welches Fazit ziehst du?
AD: Gott liebt uns in einer Art und Weise, die wir uns auch nicht ansatzweise vorstellen können. EXODUS 90 eröffnet Männern einen Weg, wieder Geschmack an Gottes unendlicher Liebe zu finden und sie bekommen Freude daran, ihr Verlangen nach Glück allein bei Ihm zu stillen.
RB: Vielen Dank für das Gespräch.