In einer alten Holztür steckt ein Baguette.

Sorge nicht – bete!

Was heißt: Unser täglich brot gib uns heute

In der Begleitung von Menschen auf ihrem Glaubensweg habe ich mehr Glauben unter Sorgen ersticken sehen als unter Verstößen gegen die zehn Gebote.
Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung? Sehe die Vögel unter dem Himmel an: Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr als sie? (Mt 6,25f).
Ihr sollt euch auch nicht Schätze sammeln auf Erden, wo sie die Motten und der Rost fressen und die Diebe nachgraben und stehlen. Sammelt euch aber Schätze im Himmel, die weder Motten noch Rost fressen. Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz
(Mt 6,19-21).

Diese Verse stehen im gleichen Kapitel des Matthäusevangeliums wie die vierte Bitte des Vaterunser. Die Bitte ums tägliche Brot ist die Bitte gegen den Sorgengeist, gegen alle Versuche des Menschen, das eigene Leben abzusichern.
Aber es ist auch die Bitte des Armen, der seine Sorge an der richtigen Stelle vorbringt; der dem Vater vertraut, dass Er für ihn sorgen wird.

Sorgen haben Macht

Wir ahnen oft gar nicht, welche Macht Sorgen haben können, wie sie einen Menschen gefangen nehmen und sein Handeln bestimmen, wie sie ihm die Lebensfreude rauben und keine Dankbarkeit aufkommen lassen. Ein dankbares Herz ist immer ein zu Gott hin offenes Herz, ein sorgenvolles dagegen ist auf alles andere ausgerichtet, nur nicht auf Gott. Es erwartet letztlich nur von sich selbst die Lösung eigener Schwierigkeiten, von Gott erwartet es nichts Gutes. Es fängt höchstens an, über einen Gott zu stöhnen, der die Menschen mit all ihren Sorgen auf dieser Welt allein zu lassen scheint.
Wer am Morgen aufrichtig ums tägliche Brot betet, der kann am Abend auch von Herzen danken. Das ist die Haltung, zu der uns Jesus mit dieser Bitte im Vaterunser ermuntern will: Erwartet Gutes von eurem himmlischen Vater, dann werden eure Augen geöffnet werden für die Fülle des Guten, das Er euch bereits tut!
Die Bitte ums tägliche Brot will uns auch davon abhalten, unser Leben in falscher Weise sichern zu wollen. Das heißt nicht, dass wir keine Früchte für den Winter einkochen oder Kartoffeln einlagern sollen. Aber wenn ein 21-Jähriger seinen Beruf nach der Höhe der zu erwartenden Altersrente auswählt, dann fragt man sich, ob er im Leben noch ein anderes Ziel kennt als seine persönliche Sicherheit.

Die Freiheit der Besitzlosen

Während des Krieges, auf der Flucht aus Schlesien, habe ich etwas gelernt, was ich nie mehr vergessen habe. Als ich nichts anderes mehr besaß als ein kleines Köfferchen, empfand ich in dieser Armut die Freude einer bis dahin unbekannten Freiheit. Ich denke oft, wenn die Menschen wüssten, welch innere Freiheit in der Besitzlosigkeit verborgen liegt, würden sie aufhören, Güter zu sammeln und Besitz zu horten, „für Notzeiten“, wie es so schön heißt.
„Wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz“, sagt Jesus. Das Herz kann in antiken Möbeln ebenso stecken wie in Wertpapieren, an einer großen Bibliothek festhängen oder an einem wohlgefüllten Vorratslager oder Bankkonto. Das Volk Israel durfte auf seinem Weg durch die Wüste jeweils nur Brot für einen Tag sammeln! Für den nächsten Tag musste es vertrauen, dass Gott ihm wieder neues Manna geben würde.
Das ist das Ziel der vierten Bitte im Vaterunser: dass wir dem Vater im Himmel, gerade auch in unseren täglichen Bedürfnissen, vertrauen lernen.
Denn soviel steht fest: Er weiß, was wir brauchen, ehe wir anfangen zu beten. Aber Er möchte, dass wir uns unserer Abhängigkeit von Ihm bewusst bleiben, weil alles andere Selbsttäuschung ist. Wir können nämlich mit unseren Sorgen weder etwas verändern, noch unsere Zukunft sichern. Aber Er kann für uns sorgen, gerade auch dann, wenn es menschlich aussichtslos erscheint.

Gott sorgt für uns

Wir kamen bei Kriegsende, auf unserer Flucht, an einen Ort, an dem es nichts mehr zu kaufen gab. Alle Läden waren geschlossen. Ich war unterwegs mit meinen Eltern und sieben Geschwistern. Wir wussten nicht, was wir essen und wovon wir leben sollten.
In dieser Lage betete mein Vater mit uns Kindern und schickte uns anschließend schlafen. Er sagte: Im Bett hält man den Hunger leichter aus. Am selben Nachmittag, gegen vier Uhr, tat es plötzlich einen großen Schlag. Das Haus, in dem wir untergekommen waren, bebte. Als wir erschrocken zum Fenster eilten, sahen wir, was geschehen war: Ein Lastwagen mit Anhänger war oberhalb unseres Hauses aus der Kurve geschleudert worden, umgestürzt und gegen unsere hintere Hauswand geprallt. Der Anhänger lag auf der Seite vor der Hintertür. Die Papiersäcke waren aufgeplatzt, und nun lagen die Lebensmittel im Hausgang und hinter dem Haus: Hülsenfrüchte, Erbsen, Bohnen und Zucker in großen Mengen. Nach zwei Stunden wurde uns erlaubt, die Kostbarkeiten aufzusammeln. Plötzlich hatten wir nicht nur Essen für einen Tag. Der Vorrat reichte für die ganze Familie bis zu dem Tag, an dem es wieder etwas zu kaufen gab. Aber nicht nur wir waren versorgt, sondern mit uns alle anderen Flüchtlingsfamilien im Haus.

Unser täglich Brot – diese Bitte meint nicht nur die eigene Familie. Sie schließt alle Menschen ein, weil wir Kinder des einen Vaters sind.
Lesen Sie einmal das Alte und Neue Testament daraufhin durch, wie Gott sein Volk immer wieder zum Teilen mit den Armen und mit den Fremdlingen anhält. Da heißt es unter anderem: Gebt, so wird euch gegeben, ein voll gerüttelt, gedrückt und überfließend Maß wird man in euren Schoß schütten (Lk 6,38). Das Volk Israel wird immer wieder dazu aufgefordert, den Zehnten der Ernte als Zeichen der Dankbarkeit an Gott zurückzugeben – als Zeichen dafür, dass eine gute Ernte nicht selbstverständlich ist, sondern ein Geschenk Gottes. Wenn wir Christen das wieder lernen könnten, Nahrung und Kleidung als Geschenk von Gott anzunehmen, dann würden unsere Erntedankfeste etwas von ihrer gedankenlosen Trägheit verlieren.
Das tägliche Brot zu haben ist uns und der jungen Generation seit Jahren eine Selbstverständlichkeit. Darum ist es so schwer, uns und sie zur Dankbarkeit zu führen. An der vierten Bitte des Vaterunser können wir neu lernen, alle unsere Sorgen auf Gott zu werfen, dann werden wir für die guten Gaben des Alltags wieder Dankbarkeit empfinden. Und wenn das Herz erst einmal voller Dank ist, dann fließt es auch über an Gutem zum Nächsten hin, dann wird das Teilen zum Bedürfnis des Herzens, das Gott für die empfangenen Gaben danken möchte.

Aus: Irmela Hofmann, Wenn ihr betet. Gedanken zum Vaterunser. Brendow Verlag, Moers 1987, S. 26-33

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